Deutscher Ethikrat: Triage-Entscheidung unter Pandemiebedingungen
Gemeinsam mit externen Sachverständigen erörterte der Deutsche Ethikrat am gestrigen Mittwoch im Rahmen einer öffentlichen Online-Abendveranstaltung die Priorisierung lebenserhaltender medizinischer Behandlungsressourcen in der Covid-19 Pandemie. Dabei wurden insbesondere die grundlegenden ethischen und rechtlichen Konflikte in den Blick genommen, die sich in Triage-Situationen stellen. „Der Deutsche Ethikrat hat im März 2020 in seiner Ad-hoc-Empfehlung zur Corona-Pandemie eine erste Bewertung zur Triage vorgenommen“, betonte die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Alena Buyx in ihrer Begrüßung. Die seitdem anhaltende Debatte über die ethischen, rechtlichen und praktischen Fragen rund um die Triage habe den Ethikrat bewogen, gemeinsam mit Expertinnen und Experten den gegenwärtigen Stand der Diskussionen zu erörtern. In seiner Einführung erinnerte Ratsmitglied Franz-Josef Bormann an die begriffsgeschichtlichen Ursprünge des Triage-Begriffs und seine Rezeption in der Notfall- und Katastrophenmedizin. Außerdem benannte er einige der einschlägigen ethischen und rechtswissenschaftlichen Fragestellungen, die etwa die Typologie der relevanten klinischen Entscheidungssituationen (Ex-ante- und Ex-post-Triage), die normative Plausibilität verschiedener Priorisierungskriterien und deren Eignung für ärztliche Entscheidungsprozesse betreffen. Im Auftaktreferat bestimmte der Philosoph und Bioethiker Christoph Rehmann-Sutter Triage als Verfahren, mithilfe dessen in Konfliktsituationen entschieden werden kann, wie knappe lebenserhaltende Ressourcen möglichst gerecht verteilt werden können. Die Tragik liege dabei darin, dass jede Handlungsoption mit einem Unrecht verbunden ist – Triage sei demnach eigentlich ein Verfahren der Schadensbegrenzung. Rehmann-Sutter zeichnete zwei wichtige Konfliktlinien – besonders umstritten sei zum einen die Relevanz voraussichtlich geretteter Lebenszeit und zum anderen die Frage einer subtilen Diskriminierung etwa von Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen durch das Kriterium der Erfolgsaussicht der Behandlung. Die Strafrechtswissenschaftlerin und Rechtsphilosophin Tatjana Hörnle hielt fest, dass es insbesondere im Fall der Ex-post-Triage, wenn also bei einem Patienten A eine bereits eingeleitete Behandlung abgebrochen wird, um einen Patienten B zu versorgen, für ärztliche Entscheider keine Rechtssicherheit gebe. Sie plädierte dafür, in einem Triage-Gesetz klarzustellen, dass auch eine mit sachgerechten Auswahlkriterien erfolgende Ex-post-Triage nicht strafbar sei. Der Gesetzgeber müsse zwar nicht, dürfe aber positive Auswahlkriterien definieren. Der Medizinrechtler, Journalist und Autor Oliver Tolmein forderte vor allem eine gesetzliche Regelung der Triage. Er wandte sich dagegen, die Erfolgsaussichten zum maßgeblichen Kriterium bei der Zuteilung lebensrettender medizinischer Ressourcenzumachen.Tolmein zufolge geht es bei den intensivmedizinischen Priorisierungsentscheidungen im Kontext der Pandemie letztlich um die Frage, wie ein Sozialstaat, in dem Gleichheitsrechte und Diskriminierungsverbote prägende Elemente des Zusammenlebens sind, auf einen drohenden Versorgungsnotstand reagiere und wer für diese Reaktion zuständig sei. Im Mittelpunkt der anschließenden Podiumsdiskussion, an der neben der Referentin und den Referenten auch Corinna Rüffer (MdB), Sprecherin für Behindertenpolitik der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, und der Gastroenterologe, Internist und Notfallmediziner Markus Wehler teilnahmen, standen insbesondere praktische Aspekte der Triage. Im Rückblick auf die Zeit der Corona-Pandemie äußerte Corinna Rüffer den Eindruck, Alter und Behinderung hätten sehr wohl die Chancen des Zugangs zum Gesundheitssystem gemindert. Denn insbesondere ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen fürchteten, in der Pandemie vergessen zu werden. Markus Wehler führte aus, dass es bei den medizinischen Behandlungsentscheidungen darum gehe, so viele Menschen wie möglich zu retten und die verfügbaren Ressourcen bestmöglich einzusetzen. Zudem gebe es standardisierte, validierte Prognosesysteme, mit denen Entscheidungen dokumentierbar, nachvollziehbar und damit transparent seien. Diese würden heutzutage auch nicht mehr von einzelnen Ärzten, sondern immer im Team getroffen. In der für das Publikum geöffneten Diskussion standen Fragen der „grauen“ Triage im Mittelpunkt, das heißt vorgelagerte Priorisierungsentscheidungen zum Beispiel beim Zugang zur Intensivstation, die im Verdacht stehen, intransparent und dadurch missbrauchsanfällig zu sein. Auch müsse der große Anteil von Patientinnen und Patienten, die außerhalb der Intensivstationen an oder mit Covid-19 verstorben sind, öffentlich thematisiert werden. Einig war man sich indes in der Frage, dass es auch künftig die oberste Maxime sein muss, Triage-Situationen zu vermeiden. Eine umfangreiche Dokumentation der Veranstaltung (Video-Mitschnitt, Transkription, Präsentationen) wird sukzessive unter https://www.ethikrat.org/forum-bioethik/triage-priorisierung-intensivmedizinischer-ressourcen-unter-pandemiebedingungen/ abrufbar sein.